Zehn Jahre Frohmann, Tag acht

Heute geht es ums Verlegen bzw. dessen Image. Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus Christiane Frohmann, »Vom Verlegen. Ein Wirkstättenbericht«, in: Hannes Bajohr / Annette Gilbert (Hg.), Sonderband TEXT+KRITIK: Digitale Literatur II, 2021

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Viele Menschen gefallen sich weiterhin in der Rolle von Bücherschreibenden und -lesenden, umgeben sich gern mit Büchern, haben gern mit Büchern zu tun. Welche Bücher das konkret sind, ist dabei erst einmal gar nicht so wichtig, Hauptsache Bücher. Vom Buch an sich wird nur sehr selten neutral als Speichermedium für geistig ideelle Inhalte gesprochen, meist wird es positiv wertend als ›das gute Buch‹ angeführt. ›Das gute Buch‹ ist ein wirkmächtiges Image, eine von angenehmen Gefühlen begleitete, kulturell tradierte Vorstellung. Entsprechend gilt Verlegerin gesellschaftlich als bedeutender Beruf, bei Partys ebenso wie bei Elterngesprächen in der Schule bekomme ich eine Art Vorschussrespekt. Eine ›Verlegerin‹ gilt dank positiver Projektion so lange als interessant, bis sie die Anwesenden aktiv vom Gegenteil überzeugt. Ich müsste nicht einmal wirklich Bücher verlegen, um diese Wirkung auf andere zu haben. Inhaltliches Interesse an meiner Arbeit ist eher die Ausnahme, und die Wahrscheinlichkeit, dass man mir stattdessen von einem eigenen Buchvorhaben oder dem Romanprojekt einer befreundeten Person erzählt, ist deutlich höher. Es ist ein paradoxes, ›ignorantes Interesse‹, ähnlich dem für ›das gute Buch‹. Das Image der Verlegerin, dem ja auch einiger Glamour anhaftet, benutze ich manchmal unsinnspoetisch, einerseits, um es bewusst zu entwerten, andererseits weil das mentale Cosplay auch Spaß macht; ich schreibe dann Tweets über die Verlagsvilla und den goldenen Bentley. Der reale Frohmann Verlag besteht nur aus einem Laptop, einem Smartphone und ein paar Bücherstapeln.

Wie losgelöst von sachlicher Betrachtung das Image der Verlegerin ist, wird noch deutlicher, wenn ich in den gleichen sozialen Situationen, in denen man mich als ›Verlegerin‹ positiv wahrnimmt, von der anderen wichtigen Sphäre meines Publizierens berichte, dem Schreiben, Posten, Teilen in sozialen Netzwerken, allen voran auf Twitter. ›Twitter‹, nach der bloßen Nennung fängt das Image zu wirken an, wieder gibt es keine inhaltlichen Nachfragen, keine sachliche Auseinandersetzung. Doch fallen die Reaktionen jetzt ganz anders aus. Der Twitter-Publizistin schlägt Vorschussskepsis und -ablehnung entgegen. So wie es neben der Furcht vor etwas auch eine objektlose Angst gibt, lässt sich in diesen Momenten das Phänomen ›objektlose Kritik‹ beobachten. Nun ist Angst aber ein Grundgefühl, Kritik hingegen eine Grundfunktion der Vernunft. Objektlose Kritik ist deshalb paradox und ignorant. Man fühlt sich auf Seiten der Vernunft, tatsächlich verharrt man aber im Affektiven. ›Ignorante Kritik‹ ist das negative Pendant zum bereits beschriebenen ›ignoranten Interesse‹.

In dieser impulsiven Abwehrreaktion ist eine Hauptursache für die immer noch weit verbreitete Nichtanerkennung des Internets als Erweiterung der »Publishing Sphere«* zu vermuten, mit der man buchstäblich fast die ganze Menschheit kulturell ausschließt, denn im Zuge der Digitalisierung und des Aufkommens sozialer Medien, die über Kontinente und Staatsgrenzen hinweg Milliarden Menschen potenziell verbinden, ist sachlich betrachtet fast jede Person Verleger*in geworden. Menschen können sich jetzt, sofern sie in einem demokratisch regierten Land leben, im Internet jederzeit öffentlich äußern, sie müssen dafür niemanden um Erlaubnis bitten. Twitter ist ein Medium, in dem Marginalisierte eher Gehör finden, als wenn sie darauf warten, im deutschsprachigen Feuilleton repräsentiert zu werden, das lässt sich ganz neutral feststellen.

 

* Damit wurde sich beispielhaft bei der von Lionel Ruffel, Annette Gilbert und Franziska Morlok organisierten Tagung »The Publishing Sphere – Ecosystems of Contemporary Literatures« am 13. und 14. Juni 2017 auseinandergesetzt, https://www.hkw.de/de/programm/projekte/2017/internationaler_literatur preis_2017/publishing_sphere_1/publishing_sphere.php (31.1.2021). 

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