Folge 59

Etwas Altes: In der Erinnerung emergierende Vorbilder

Ich schreibe gerade an einem Text, in dem es um Volbilder geht. Diese steigen bei mir immer in der Rückschau auf. Über zwei habe ich schon mal geschrieben: (mit anderen zusammen) über Hella Tiedemann und über Ruth Klüger.

Etwas Neues: Das Sommerloch als Möglichkeitsraum

Seit es die kostengünstige und klickträchtige Möglichkeit des Debatten-Auftoastens gibt (Gendern, Gendern, Gendern, N-Wort, Masken, Gendern, Gendern, die Jugend liest nicht mehr, Gendern, N-Wort, Z-Wort, Gendern, Atomkraft ist sicher, Gendern, Greta Thunberg, Gendern, M-Wort, Gendern, Autonomie der Kunst, Klimalobbyismusterrorismus, Gendern, Frauen- und Lebensschutz zum Wohle unmündiger Frauen, Gendern, Autofahren ist die Vollendung menschlicher Freiheit, Gendern, Arme sollen einfach selbst kochen, Gendern), entkommen während der Sommermonate, wo richtige Medienarbeit nicht lohnt, weil zwei Drittel der Redaktion und des Publikums gerade versuchen, in der Mittagshitze italienische Medien zu konsumieren, kaum noch Alligatoren aus Wohnungen, um in Baggerseen arglose Badegäst*innen zu bedrohen. Und kennen Jüngere überhaupt noch Nessie, wenn ja, dann vermutlich aber nicht »aus der Zeitung«, sondern aus so einer zusammengeklatschten Doku namens Die zehn unglaublichsten echten Monster.

Ich kann und will es wegen knapper Lebenszeit nicht beweisen, aber gehe fest davon aus, dass es aktuell mehr Artikel, Tweets, Features darüber gibt, warum man nicht gendern sollte als Artikel, Tweets, Features, in denen gegendert wird. Nach ungefähr vier, fünf Jahren schriftlichen und zwei Jahren mündlichen Genderns – Letzteres immer noch nicht ganz konsequent, weil ich gar nicht mehr so oft rede wie früher – kann ich persönlich sagen, es wird zunehmend ganz normal für mich, und mir kommt Nichtgegendertes beim Lesen und Hören sofort anachronistisch vor. Normal ist, was heute normal ist. Ich träume ja auch nicht jede Nacht davon, wie es früher mit mehr spicy »ß« war.

Ich als Leserin, Autorin, Verlegerin fühle mich in der Sprache, in der ich arbeite und lebe, besser repräsentiert, seit gegendert wird. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Deshalb, aber auch rein konzeptuell, ist es für mich auch selbstverständlich, mir Begriffe abzugewöhnen, von denen mir Betroffene erklären, dass diese gewaltvoll sind. (Wie oft habe ich diesen Text so ähnlich schon geschrieben, nennt mich Gutzurede-Nessie.)

Original- und Gesinnungsboomer*innen, seid mal lieb: Ihr habt das mit dem Gurtbenutzen im Auto geschafft, das mit dem Nichtmehrrauchen in Flugzeugen, Restaurants, Kinderzimmern, und immer mehr Leute greifen zum Fahrradhelm. Manches davon geschah freiwillig, manches unter Zwang. Macht Sinnvolles doch einfach freiwillig, dann tut es viel kürzer weh. Leute, die, ohne zu zögern, Bohrinsel sagen, aber meinen, partout nicht Leser*in sagen können, lügen. Sie sind es nur noch nicht gewöhnt.

Mein Vorschlag für eine neue, konstruktive Bespielung des Sommerlochs wäre: Medien holen alle Meilenstein-Beiträge mit dem Potenzial, Wissen zu vermitteln, das den Planeten, die Menschheit, die Demokratie, die Gesellschaft retten könnte, wieder hervor. Das ist günstig und günstig.

Bitte.

Etwas Geliehenes: Ein Zitat

»I feel like trans is what gay used to be like, with all the hostility directed towards it.« – Sunil Gupta, BUTT magazine 30, Spring 2022, 61

Etwas Uncooles: Ethisch altmodisch

Anschlussgedanke: Wenn ihr zu den Menschen gehört, die wirklich noch nicht denken, dass sie in den letzten Jahren eine ganze Menge dazu- und umzulernen hatten und bestimmt weiterhin noch viel dazu- und umlernen müssen; wenn ihr euch also ungebrochen okay findet, aber unangenehmerweise zunehmend erlebt, dass Leute scheinbar unverhältnismäßig wütend auf euch reagieren, dann haben wir einen Kniff für euch parat:

Die Wahrscheinlichkeit, dass guter Stil und Coolness für euch wichtig sind, ist ja recht groß. Deshalb vergesst jetzt mal den Gutmenschenquatsch, sondern betrachtet das Relativieren der Aussagen von Gewaltbetroffenen versuchsweise als uncool. Und Debatten aufwärmen ist altmodisch. – Vielleicht hilft euch das ein bisschen, niemand ist ja gern eine Arschgeige.

Rubrikloses

Ich wollte schon angeben, dass ich nach Jahrzehnten endlich den Kniff gefunden habe, mit dem man Menschen im Internet davon abhält, rhetorische Fragen zu beantworten. (Indem man die Antwort selbst in Klammern dazu schreibt.) Was soll ich sagen, es hat natürlich nicht geklappt.
Haha, ich habe auf Twitter so viele Hashtags geprägt, aber das nächstliegende Hashtag bislang ausgelassen. Ja, jetzt habe ich schnell was damit geschrieben, man weiß ja nie.
Zum Geburtstag bekam ich von unbekannter Person (Problem großer Partys) eine Ausgabe des BUTT magazines; mittlerweile habe ich es sehr angetan ganz durchgelesen.
Neues gelernt, bisschen emotional berührt, aber nicht manipuliert worden, keinmal über in den Klickfleischwolf geworfene Marginalisierte geärgert. Es gibt ihn noch, den Qualitätsjournalismus. Außerdem feiere ich die Bottega-Veneta-Werbung auf der Rückseite. Okay, es ist auch irgendwie naheliegend, aber trotzdem.

Präraffaelitische Girls erklären Megalonäre, Vol. 10

Zurück zu Imperator Elon und den Nietzschnutzen, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
 
XOXO,
FrauFrohmann