Hin und weg von Social-Media-Plattformen

Impulsvortrag von Christiane Frohmann beim offenen Stammtisch »TechMündigkeit für Wortmenschen« am 16.12.2024 in der Lettrétage, Berlin

Ohne Facebook hätte ich nicht angefangen, einfach so Texte zu schreiben. Ohne Facebook hätte ich nicht alte Bekannte bei ihrer digitalen Adoleszenz beobachten und daraus kulturphilosophische Schlüsse können. Ohne Facebook hätte ich kein so genuines Verständnis für den kulturellen Wandel durch Digitalisierung entwickelt. Ohne Facebook hätte ich nicht doch irgendwie dranbleiben können, als ich kleine Kinder und wenig Raum für intellektuelle und kreative Arbeit hatte. Ohne Facebook wäre ich nicht von Akif Pirincci als »dummes kleines Mädchen« beschimpft worden. Ohne Facebook hätten sich keine narzisstischen Autoren an mich ranwanzen können. Ohne Facebook hätte ich keinen Stalker gehabt. Ich verdanke der Plattform einiges, Gutes und Schlechtes. 

Facebook ist mir irgendwann zu öde geworden, ich wollte anderen nicht mehr dabei zusehen, wie sie Fotos aus den Neunzigern posteten und performativ dazu aufriefen, gemeinsam unsere vergangene Coolness zu feiern. Es kam mir wie ein ewiges Abitreffen vor. Jede Plattform zieht bestimmte soziokulturelle Gruppen an und altert mit ihren User*innen, manchmal schlecht, vielleicht auch immer. Wenn irgendwo »die Jugend hat keine richtigen dies und das mehr« losgeht, bin ich weg. Ich interessiere mich nur sporadisch für meine Vergangenheit, weil ich lieber weiter interessante Sachen machen und mein Leben so gestalten möchte, dass ich in der Gegenwart zufrieden sein kann, ohne die Zukunft zu ruinieren. 

Immer wieder mal berichten mir Personen, dass sie Facebook noch oder wieder wegen der Gruppen nutzen, dazu kann ich nichts sagen, ich habe einfach keine Ahnung, was da nach 2016 losgewesen ist.

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Ohne Twitter würde ich meinen Verlag nicht gegründet haben. Ohne Twitter hätte ich drei Viertel meiner Autor*innen nicht gefunden. Ohne Twitter hätte ich das Konzept des instantanen Schreibens nicht denken können. Ohne Twitter wäre ich vielleicht heute noch eher Pick me Girl als Feministin. Ohne Twitter würde ich glauben, dass der deutsche Literaturbetrieb und die Literatur in Deutschland relativ deckungsgleich sind. Ohne Twitter hätte ich keine klare und unbeirrbare Vorstellung, wie ein partizipativer und solidarischer Literaturbetrieb aussehen könnte. Ohne Twitter wäre mein Verlag schon nach kurzer Zeit wieder geschlossen worden, weil kaum jemand in alten Medien über die aus dem Netz kommende neue Literatur berichtete. Ohne Twitter hätte ich kein Bewusstsein von mir als Autorin entwickelt. Ohne Twitter wäre ich nicht so politisch geworden. Ohne Twitter hätte ich nicht meine ästhetische Vision um ethische Lagen erweitert. Ohne Twitter hätte mir kein berüchtigter Blogger Nazitrolle auf den Hals gehetzt. Ohne Twitter hätte ich keine sozialen Ängste entwickelt. Ich verdanke der Plattform unschätzbar viel, Gutes und Schlechtes, und doch habe ich keinerlei Interesse am nächsten ewigen Klassentreffen. 

Twitter ist vorbei, die wunderbaren sozialen und narrativen Beziehungen leben fort und wirken weiter. Mir ist egal, wie cool es auf Twitter war. Jetzt ist jetzt. 

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Ohne Instagram und seine Ästhetik wären mir die PGExplaining nicht eingefallen. Ohne Instagram hätte ich nicht erlebt, wie Personen einen heute hypen und morgen zerstören wollen.    

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Über X kann ich nichts sagen, ich war sofort weg, als das erste Gerücht aufkam, dass Twitter an Elon Musk verkauft werden würde. Mir war es auch nicht peinlich, als es dann erst mal doch nicht so war, denn ich hatte schon lange weggewollt. Überall Clickbait, selbst Medienprofis 24/7 im Aufregungsrausch und absolut unbelehrbar, was digitale Umsicht anging. Das Ding mit der Aufregung hatte mich selbst auch lange Zeit am Wickel gehabt, immerhin empörte ich mich clickbaitsensibel: keine Links, keine Namen, keine Hass-Begriffe. Mir ist damals bestimmt auch manches durchgegangen, aber es macht einen großen Unterschied, ob das gelegentlich passiert oder ob man jeden Tag tausenden Follower*innen zehn Portionen Scheiße hinlegt, damit sie reintreten und die Scheiße dann weiterverteilen können. Oh, böser Journalismus, schnell mal den Dreck durchs ganze Internet tragen. Oh, eine bewusst Arschlochmarketing machende Firma, schnell mal den Dreck durchs ganze Internet tragen. Oh, ein neuer Ex-Promi-Hass-Take, schnell mal den Dreck durchs ganze Internet tragen. Ich wollte daran nicht mehr mitwirken, also bin ich weg. 

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Das erste Aufschlagen von Elon Musk als möglicher Twitter-Doge hatte mir überdies grell in Erinnerung gerufen, dass ich, obwohl ich mich Indieverlegerin nenne, sehr stark abhängig geworden war von einer einzelnen Plattform. Damals hatte ich – das muss ich aus heutiger Sicht selbstkritisch feststellen –, immer noch nicht komplett auf dem Schirm, dass technisch progressiv nicht unbedingt inklusiv und für das Wohl aller Menschen gedacht bedeutet. Ich glaubte, dass es auf der Hand liegen würde, wofür technologischer Fortschritt einzusetzen war: für Menschen, Tiere, Pflanzen, den Planeten, das Leben. Heute denke ich, dass mein Optimismus und mein komplettes Desinteresse an Macht mir den Blick auf die unangenehme Wahrheit verstellt haben, dass es machtgeile Menschen gibt, die immer schon böse gewesen oder auf dem Weg zur Macht böse geworden sind. Aus dieser Erkenntnis leite ich ab, dass an sozialer Gerechtigkeit interessierte Menschen, insbesondere Publizist*innen, sicherstellen müssen, dass Firmen, mit denen sie zusammenarbeiten und Tools, die sie nutzen, nicht von gesellschaftlich unsolidarischen Personen gebaut, besessen und zum Schlechten verändert werden können. So einfach, so überaus kompliziert ist das, weil ja die meisten, die so etwas bauen können, ebenfalls im Übermenschenquatschglauben-Silicon-Valley geprägt worden sind. Es werden also Filter benötigt: Personen oder Tools, die Technik und AGB von Plattformen für die Öffentlichkeit bewerten, die Social Media kuratieren und Empfehlungen aussprechen, auf wen man sich getrost einlassen kann und vielleicht sogar sollte.

Was ethisch nicht geht, kann ich persönlich ziemlich gut erkennen, aber ich glaube, die meisten Menschen verdrängen diese Verantwortlichkeit: »Ich möchte nicht meine internationalen Netzwerke verlieren«, hat man seit 2022 oft gehört. Wer will das schon? Aber ich will auch nicht in ein paar Jahren von einem globalen Techno-Imperator aus dem Leben gelasert werden oder dabei zusehen, wie es anderen Menschen geschieht. Digitale Trägheit von Demokrat*innen begünstigt Faschismus, denn die Rechten (von Trad Wife bis Tec Bro) sind in den letzten zehn Jahren digital bienenfleißig gewesen.  

Und weil das Problem mit der Abhängigkeit von Plattformen, die Milliardären gehören, ja nicht mit Elon Musk begonnen hat und aufhört, bin ich 2022 auch gleich weg von Instagram. Wer sagt mir denn, dass Mark Zuckerberg so stiftungs-altruistisch bleibt, wenn, sagen wir mal, seine Ehefrau keinen Bock mehr auf ihn hat. Kein einzelner Mensch sollte so viel Geld und Macht haben. Warum geben wir ihm beides?

Ich rate zu großem Misstrauen gegenüber Unternehmen, die Namen wählen, die überdeutlich Megalomanie oder Maskuscheiße schreien. Was ist eigentlich los mit uns, dass wir im Privaten nach den red flags bei möglichen Partnerpersonen suchen, aber nicht bei Konzernen, die uns mittlerweile mit einem Klick auslöschen könnten.  

Ich bin also 2022 weg von Twitter, bevor es X wurde, und von Instagram, das schon Meta war. Superkonsequent, ganz toll, Christiane. Ja, und dann war ich komplett allein. Es war so, als hätte jemand das Licht in meinem Verlag ausgeschaltet. So fühlte es sich zumindest an. Meine Reichweite und mein Adrenalin waren gleichzeitig weg, aua. Spoiler: Ich bin ein Jahr später zu Instagram zurückgekrochen. Hätte ich doch nur rechtzeitig mehr Zeit in meinen Newsletter investiert, mit einer Null mehr Abonnent*innen hätte ich es, glaube ich geschafft, ganz ohne Social Media weiterzumachen oder mir zumindest erlauben können, auf eine weniger monopolisierende Plattform zu warten. Aber ich hatte vorher offensichtlich zu lange, statt sinnvoll an meiner Unabhängigkeit zu arbeiten, zu viel Zeit damit verschwendet, Gratis-Inhalte für freie Milliardärsnutzung zu schaffen.

Aktuell bin ich noch auf Instagram und mache da halbseiden Dienst nach Algorithmus-Vorschrift. Ich bin bei Mastodon und finde es etwas langweilig, weil da, was ethisch gut ist, bewusst darauf verzichtet wird, mich süchtig zu machen. Mastodon ist meiner Einschätzung nach ausbaufähig für Publizist*innen mit Twitter-Hintergrund. Bluesky misstraue ich emotional immer noch ein bisschen, weil ich nicht live mitbekommen habe, dass Jack Dorsey nicht mehr dabei ist. Außerdem fühle ich da schon wieder neue Abwesenheiten, weil Leute zu Threads abwandern. Weil da alle sind. Da sind alle, weil alle denken, dass da alle sind. Ich bin da nicht. Ich gehe da auch nicht hin. Ich habe es mir kurz angesehen und einen hässlichen Spättwitter-Vibe gefühlt. Besten Dank, ohne mich. Ich habe keine Angst, etwas zu verpassen, nur, wenn mir auf Instagram angezeigt wird, dass eine Person, die ich gut finde, etwas auf Threads gepostet hat, was verführerisch angeteasert wird. Ich mache nicht mit, ich widerstehe dem Impuls, dazugehören zu wollen. Wenn nicht mal ich als Publizistin es hinbekomme, kommunikativ und performativ Sachen zu unterlassen, die ich falsch finde, wofür nehme ich dann überhaupt noch einen Stift oder ein Smartphone in die Hand und erkläre Leuten, was richtig und falsch ist.

Ich bin oft die Spaßbremse, das scheint irgendwie mein Job zu sein, der mir selbst auch keinen Spaß macht. Dabei kann man auch auf den neuen Plattformen noch Spaß haben. Auf Bluesky etwa tummeln sich happy Queers, das ist sehr schön. Auf Mastodon begegne ich vielen weißen Personen mit dem Potenzial, noch das zu erleben, was andere weiße Personen wie ich auf Twitter erlebten, eine stark verspätete Erziehung zu wirklich solidarischen Mitmenschen. 

Wer jetzt Plattform Y und Z damit füllt, anzugeben, länger als andere von X weggegangen zu sein, wer jetzt sogar andere unter Druck setzt, endlich zu gehen, hilft nur sich selbst und der eigenen Reichweite. Für den Gemeinsinn und die Demokratie besser ist es, ein bisschen Zeit in die neuen Plattformen zu investieren, zu beobachten, auszuprobieren, wie funktioniert das hier und zu versuchen, dort schöne Gruppen wieder zusammenzubringen, vielleicht sogar ohne unangenehmen Cliquenvibe, aber auch neue Gruppen zu bilden, andere kulturelle Organismen zu kreieren. Die Zeiten haben sich längst wieder geändert und hören nicht damit auf. 

Publizist*innen können aktiv daran mitwirken, das deutschsprachige Mastodon und Bluesky noch mehr zu Räumen zu machen, in denen sich marginalisierte Menschen wirklich willkommen und sicher fühlen können, weil sie es sind. Deutschsprachiges Bluesky und Mastodon könnten für eine größere Öffentlichkeit aktiv mit anderssprachigen TLs verbunden werden, das kann gut über einzelne Personen laufen, die davon erzählen, was sonst auf der Welt los ist. Das alles finde ich interessanter und auch dringlicher als die Frage, wo Publizist*innen selbst sich gut aufgehoben fühlen bzw. es hängt alles zusammen. Ein gemeinsames Projekt: die eigene kommunikative Expertise nutzen, um die neuen Inseln zum Nutzen Vieler gut zu entwickeln, könnte nicht zuletzt auch die publizistische Solidarität untereinander stärken. Und wer fühlte sich gerade nicht isoliert und verloren.  

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Mein Denk- und Handlungsanstoß ist, sich unter Publizist*innen bewusster zusammenzuschließen, Plattformen zu analysieren und zu prägen, auch als Gruppe notwendige Kritik bei den Betreibenden vorzubringen, um vorzuleben, wie eine internationale Gesellschaft von Mitmenschen aussehen könnte. Die Plattformen nicht wieder wie ein günstiges oder schreckliches Schicksal betrachten, sondern bewusst mitgestalten. Zeit zum Spielen und für den Kick wird immer bleiben.

Lasst die Erinnerung an Twitter los, bevor sie nostalgisch überhöht wird. Schafft etwas Neues, Besseres, auf Grundlage der neuen Plattformen. Es müssen nicht alle überall zusammen sein, es genügt, wenn die Plattformen über einzelne Menschen miteinander verbunden sind. Ihr verpasst nichts, versprochen, außer vielleicht die Chance, jetzt gerade gesellschaftspolitisch das Ruder herumzureißen.