Einfach weiterlesen

Bücher sind nicht das ideale Medium für sämtliche ideellen Inhalte. Dies war immer so, aber jetzt ist es augenfällig geworden. Es wird einem zukünftig unangemessen erscheinen, in gedruckter Form Titel zu kaufen, von denen abzusehen ist, dass man sie nur einmal liest, möglicherweise sogar widerwillig, weil man es aus professionellen Gründen oder um mitreden zu können muss. Außerdem gibt es neue ästhetische Formen – ich verlege manche von ihnen –, die im Print gar nicht denkbar sind.

E-Books sowie kommende neue Kommunikations- und Speichermedien können und wollen dem Buch aber gar nicht in allen Bereichen an den Kragen. Bücher werden immer oder noch lange Zeit das Lesemedium für Titel sein, denen man sich besonders zugehörig fühlt oder fühlen möchte, die man besonders intensiv erleben will, weil diese von Lieblingsautor*innen kommen, weil sie klassisch schön gestaltet sind oder weil man sie irgendwann mal zuerst als Buch gelesen hat. Bücher kann man stärker haptisch spüren und man kann sich materiell mit ihnen umgeben.

Es wird weiterhin Bücher geben, zumindest in der Zukunft, die ich mir vorstellen kann, das sind die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. Sie werden allerdings zunehmend den Charakter von Liebhaberobjekten annehmen, die man nicht einfach so zum Lesen erwirbt, als Gebrauchsbücher im positiven Sinne, sondern ausdrücklich deshalb, weil es Bücher sind.

Bücher werden wie Vinylschallplatten eine veränderte kulturelle Bedeutung haben. Ihre Funktion als wichtigstes Lesemedium aber werden sie verlieren. Faktisch haben sie diese bereits verloren, dem bildungsbürgerlichen Image nach allerdings noch nicht.

Die häusliche Bücherwand wird weiterhin Distinktionscharakter haben, allerdings einen anderen als den im 19. und 20. Jahrhundert gewohnten. Bücher werden ein kulturelles Kapital symbolisieren, das weniger Menschen haben möchten. Kinder und Jugendliche, auch solche, die gern lesen, teilen die besondere Hochschätzung des Buches nicht mehr selbstverständlich. Sie lesen Bücher und sie lesen E-Books, je nachdem in welcher Form ihnen die ideellen Inhalte zugänglich gemacht wird.

Es ist ein eigenartiges Phänomen, dass die ganze Zeit davon geredet wird, wie die Lesekultur verloren geht und immer weniger gelesen wird. Sieht man einmal um sich, fällt der Blick, zumindest wenn man in einem Büro oder zuhause sitzt, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Menschen, die den ganzen Tag lesen. Sicher, Kinder und Jugendliche sehen viele Videos und sie gamen. Aber auch in ihrem Gesichtsfeld sind jede Menge Texte: Texte auf Bildschirmen. Wir alle lesen auf den Screens unserer Rechner und Smartphones. Dieses Lesen aber ist augenblicklich noch schlecht angesehen bzw. es wird gar nicht gesehen, weil es nicht als »richtiges Lesen« gilt. Es gibt aktuell ein richtiges und ein falsches Lesen. Wer keine Bücher liest, verliert. Gibt man diese dichotomische, diese Entweder-oder-Sichtweise aber auf, dann haben wir keine verlorene, sondern eine andere Lesekultur. Alle gewinnen.

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»Geht die Lesekultur vor die Hunde?«
»Nein.«

Man sollte sich auf die veränderte Bedeutung des Buches einstellen und diese weder forcieren noch leugnen. Dann kann ein wunderschöner neuer Raum für das Bücherlesen entstehen. Das viele Gejammer und Gehetze tut der Buchkultur jedenfalls nicht gut.

Lest doch einfach weiter.

 

Zuerst veröffentlicht zum #WelttagDesBuches am 23.4.2014